Eine Welt wie im Märchen

Reisebericht von Thomas Kabisch


VI. Wandertag

Fr, 17.09.99

Ans Frühaufstehen kann man sich hier fast gewöhnen. Das übliche Ritual im Morgengrauen: Bäcker, Holzwerk, Dampf. Zusammengefasst. Die Sonne will heute erstmals nicht so recht scheinen. Aber dafür fährt der Dampfzug auch wieder zuerst. Und, es geht richtig früh los: (8:00 Uhr!)
Im Zug treffen wir alte Bekannte, u.a. einen Jäger, der uns am Mittwoch wohl einen Bären aufbinden wollte, als er von diesen sprach. Zumindest lernten wir, dass Ursus nicht nur als Bier existiert. Und Bekannte gibt man Schnaps aus. In Valae Scradei wird ein Flachwagen noch zugestellt, er wird natürlich für uns bevorzugtes Reisegefährt. Nur am Wagenende finden sich genügend Bohlen hintereinander, die das Durchfallen verhindern, in der Mitte gibt es einen freien Ausblick nach unten.


Aussicht in alle Richtungen.



Wasser nehmen, dann Novat. Wir steigen aus. Mit einem langen Pfiff und einer schönen Dampffahne entschwindet der Holzzug mit der 764 469 in den Wäldern. Das war sie also - die letzte Waldbahnfahrt. Anmut. Wehmut.

Zurück wollen wir diesmal wandern. Nach einem gescheiterten Versuch, einen wasserfallartigen Weg auf der rechten Flußseite zu erschreiten, entscheiden wir uns für die Alternative, Abwandern des ehemaligen Seitenastes der Ripi-Strecke und dann nach Valea Scradei.
Eine gute Entscheidung. Zum Gleisdreieck, rechts nach Ripi an der Felswand vorbei und in das Seitental, über die Reste der Holzbrücke des alten Astes und schon regiert Natur pur. Aber die Natur ist hier nich immer so friedlich wie heute, zwischen- zeitlich scheint die Sonne wieder.
Dramatische Bilder lassen erahnen, was für raue Kräfte hier wüteten: Schienen, die 400-Grad Kurven auf einem Halbmesser von 3m vollführen, verstreute Holzreste, die von einstigen Brücken künden, teilweise ist der Bahndamm noch zu erkennen, oft allerdings völlig in den Fluten verschwunden. Das Unwetter wütete derart, dass auf der Trasse die einstmals einen Waldbahnast trug, heute selbst für Wanderer manchmal kaum ein Durchkommen ist, aber irgendwie gelingt es immer.
Schließlich: Eine Bärenspur...Was tun? Wir haben ja einen Reisführer: "Rein theoretisch hat der unbewaffnete Mensch gegen den Bär im Zweikampf keine Chance: Der Vierbeiner kann klettern und schwimmen - einmal auf Touren - erreicht er eine Laufgeschwindigkeit bis zu 50 Stundenkilometer" (S.159) Na wenn das so ist... Weiter.
Irgendwann nach einer Stunde lichtet sich das Tal, ein Pferd steht schnaubend plötzlich mitten in der Natur. Bald werden auch ein paar Holzhüttchen geortet, nur zweibeinige Wesen sind natürlich nicht auszumachen. Rast. Von oben dringt Glockengeleut ins Tal, es scheint näher zu kommen, und dann sind wir umzingelt - nicht von Bären, sondern einer ganzen Herde Kühen.
Aber weiter, jetzt wird es spannend, es gilt das Tal zu verlassen, Wege, geschweige denn Ausschilderungen, gibt es natürlich nicht so recht, Improvisation ist angesagt.
Aus dem Tal hinaus, oben gibt es herrliche Ausblicke, und, mit einmal ist ein Weg da, genau in der richtigen Richtung. Nach kurzer Zeit verschwindet er im Wald, vereinigt sich mit noch einem, führt ein bischen hoch und runter und schon öffnet sich der Wald für eine kleine Wiese. Offensichtlich ein Hirtenweg, eine entsprechende Hütte ist vorhanden und sogar ein Rastplatz mit Tisch und Bänken, man könnte fast Tourismus vermuten.
Irgendwann erreichen wir eine merkwürdigen Hohlweg, genauer eine ausgeschliffene Rinne mit Lehmwänden. Die einzige Erklärung ist der Baumtransport. Mit Wasserfüllung ergibt der Weg einen perfekte Baumstammrutsch. Sicher eine beeindruckende Art des Holztransports, und wahrscheinlich nicht langsamer als mit Waldbahn. Heute scheint die Rutsche aber nicht in Betrieb zu sein.
Bald lichtet sich alles und der Blick wird frei auf die hinteren Zipfel von Valea Scradei, viel eher, als wir erwartet hatten. Dafür wird der Ort viel größer als erwartet. Am Anfang sind es große Gehöfte mit Hütten, natürlich auschließlich in Holzbauweise, die sich entlang unserer "Naturstraße" langschlängeln. Das neben den schon beschriebenen Baumstämmen vermutlich einzige für diese "Straße" geeignete Verkehrsmittel dürfte sicherlich auf Hafermotorbasis funktionieren.


Naturstraße in Valea Scradei.



Herrlich fügt sich das Dorf in die Landschaft ein. Und noch etwas prosischer könnte man es auch so ausdrücken: "Wir wüßten keine Gegend in Europa, wo Mensch und Umwelt in jeder Beziehung so perfekt harmonieren wie hier. In diesen 'Arkadien des Ostens' muß alles so sein, wie es ist und seit Menschengedenken immer war" (S.51).
Dann beginnt doch die neuzeitliche Zivilisation, nach einer halben Stunde Wanderung durch den Ort sind die ersten Strommasten zu erspähen. Wenig später stehen wir vor der beeindruckenden neuerbauten Holzkirche.
Irgendwann haben wir die Waldbahngleise wiedergefunden. Da es erst 16Uhr ist, bleibt noch Zeit für ein Foto vom Nachmittagszug. Die richtige Fotoposition ist schnell gefunden, aus 30m Höhe gibt es einen schönen Blick, weit das Tal hinauf.


Freitägliche Talfahrt nach Viseu de Sus.



Wenig später herrscht reger Fußgängerverkehr im Tal, bekannte Persönlichkeiten schleppen schweres Gerät bergwärts: Das bayerische Fernsehen rückt mal wieder an. Um 17:30 Uhr dann dampft er vorbei: Der endgültig letzte Waldbahnzug auf dieser Reise, nochmals hat 764 469 die Ehre, eine Woche lang spielte Sie die Hauptrolle. Nun fährt sie ins verdiente Wochenende.
Zu Fuß zu Tale. Ein Mitfahrgelegenheit ist heute nicht zur Stelle, also wandern. Dann im Werk ein letzter Blick über den Zaun, da steht sie, schon kalt, Wochenendruhe. Zurück ins Quartier, der letzte Abend, Abschied allerorten.